(Stuttgart) Der Bundesgerichtshof (BGH) hat soeben entschieden, dass der Pflichtteilsverzicht eines behinderten Sozialleistungsbeziehers grundsätzlich nicht sittenwidrig ist.
Darauf verweist der Nürnberger Fachanwalt für Erb- und Steuerrecht Dr. Norbert Gieseler, Vizepräsident der DANSEF Deutsche Anwalts-, Notar- und Steuerberatervereinigung für Erb- und Familienrecht e. V., Stuttgart, unter Hinweis auf das am 04.02.2011 veröffentlichte Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 19. Januar 2011 – IV ZR 7/10.
In dem Fall errichteten der Beklagte und seine Ehefrau am 6. November 2006 ein notarielles gemeinschaftliches Testament. Darin setzten sich die Ehegatten gegenseitig als Alleinerben ein. Schlusserben sollten die drei gemeinsamen Kinder sein, von denen eine Tochter unter einer Lernbehinderung leidet, jedoch nicht unter gerichtlicher Betreuung steht und auch nicht in der Geschäftsfähigkeit eingeschränkt ist. Diese Tochter erhält seit dem Jahr 1992 vom Kläger Eingliederungshilfe (jetzt §§ 53 ff. SGB XII), die seit Mai 2007 als erweiterte Hilfe gemäß § 19 Abs. 5 SGBXII gezahlt wird. Die Leistungsbezieherin wurde für den Schlusserbfall zu 34/200 als nicht befreite Vorerbin eingesetzt; ihre Geschwister wurden zu je 83/200 zu Voll-Miterben bestimmt. Über den Vorerbteil wurde Dauertestamentsvollstreckung angeordnet. Testamentsvollstrecker sollte der Bruder der Leistungsbezieherin, Nacherben sollten die beiden Geschwister sein. Der Testamentsvollstrecker wurde angewiesen, der Leistungsbezieherin zur Verbesserung ihrer Lebensqualität aus den ihr gebührenden Reinerträgen des Nachlasses nach billigem Ermessen solche Geld- oder Sachleistungen zukommen zu lassen, auf die der Sozialhilfeträger nicht zugreifen kann und die auch nicht auf die gewährten Sozialleistungen anrechenbar sind. Im Anschluss an die Beurkundung des Testaments verzichteten die drei Kinder in notarieller Form auf ihren jeweiligen Pflichtteil nach dem Erstversterbenden. Noch im Laufe des Abends des 6. November 2006 verstarb die Ehefrau des Beklagten.
Der klagende Sozialhilfeträger leitete sodann gemäß § 93 SGB XII den Pflichtteilsanspruch der Leistungsbezieherin nach der Mutter sowie „das nach § 2314 BGB bestehende Auskunftsrecht“ auf sich über und verlangte vom Beklagten als Alleinerben seiner Ehefrau Auskunft über den Wert des zum Nachlass gehörenden Hausanwesens und danach die Zahlung eines entsprechenden Betrages, was dieser ablehnte. Der Beklagte behauptete, die Motivation für den Pflichtteilsverzicht habe darin bestanden, ihn nach dem Tode seiner Ehefrau finanziell abzusichern und insbesondere eine Verwertung des Hausgrundstücks, neben dem keine wesentlichen Vermögenswerte vorhanden seien, zu vermeiden. Die Eheleute und ihre Kinder seien sich einig gewesen, dass die Kinder den elterlichen Nachlass erst nach dem Letztversterbenden erhalten sollten, weshalb nicht nur die Leistungsempfängerin, sondern alle drei Kinder auf ihren jeweiligen Pflichtteil verzichtet hätten. Der Sozialhilfeträger hielt den Pflichtteilsverzicht der Leistungsbezieherin wegen Verstoßes gegen § 138 Abs. 1 BGB für unwirksam, da dieser ausschließlich dazu diene, unter Verstoß gegen das sozialrechtliche Nachranggebot den Zugriff des Sozialversicherungsträgers wenigstens auf den Pflichtteilsanspruch der Leistungsempfängerin zu verhindern, und sich somit als Vertrag zu Lasten Dritter darstelle.
Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgte der Kläger sein Begehren weiter.
Aber auch vor dem BGH, so betont Dr. Gieseler, zog der Sozialhilfeträger den Kürzeren.
Zu Recht habe das Oberlandesgericht weder hinsichtlich des gemeinschaftlichen Testaments noch hinsichtlich des Pflichtteilsverzichts einen Sittenverstoß angenommen. Die Überleitung nach § 93 SGB XII gehe daher ins Leere, weshalb der Kläger nicht Inhaber der geltend gemachten Wertermittlungs- und Pflichtteilsansprüche geworden sei. Nach der gefestigten Senatsrechtsprechung zum so genannten Behindertentestament sind Verfügungen von Todes wegen, in denen Eltern eines behinderten Kindes die Nachlassverteilung durch eine kombinierte Anordnung von Vor- und Nacherbschaft sowie einer – mit konkreten Verwaltungsanweisungen versehenen – Dauertestamentsvollstreckung so gestalten, dass das Kind zwar Vorteile aus dem Nachlassvermögen erhält, der Sozialhilfeträger auf dieses jedoch nicht zugreifen kann, grundsätzlich nicht sittenwidrig, sondern vielmehr Ausdruck der sittlich anzuerkennenden Sorge für das Wohl des Kindes über den Tod der Eltern hinaus. Um ein solches Testament handele es sich auch im Streitfall. Da die lernbehinderte Tochter des Beklagten Eingliederungshilfe nach den §§ 53 ff. SGB XII bezieht, die das Vorliegen einer Behinderung voraussetzen, ist es unerheblich, dass sie gleichwohl geschäftsfähig war und nicht unter gerichtlicher Betreuung stand. Auch der von der Leistungsbezieherin erklärte Pflichtteilsverzicht verstoße weder für sich genommen noch in einer Gesamtschau mit dem elterlichen Testament gegen die guten Sitten und sei daher wirksam.
Gieseler empfahl, dies zu beachten und in Fällen, in denen behinderte Kinder zu Erben eingesetzt werden sollen unbedingt rechtlichen Rat einzuholen, wobei er u. a. auch auf die bundesweit mehr als 700 auf Erbrecht, Erbschaftsteuerrecht und Scheidungsrecht spezialisierten Rechtsanwälte und Steuerberater der DANSEF Deutsche Anwalts-, Notar- und Steuerberatervereinigung für Erb- und Familienrecht e. V., www.dansef.de verwies.
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