(Stuttgart) Das Thüringer Oberlandesgericht hat sich soeben mit einer Problemlage befasst, die in der immer älter werdenden Gesellschaft zunehmend brisant wird und einen Pflegeheimbetreiber dazu verurteilt, einer Demenzkranken, die unbeaufsichtigt verschwunden war und sich dann bei ihrem „Spaziergang“ durch einen Sturz Verletzungen zugezogen hatte, ein Schmerzensgeld von 20.000 Euro zu zahlen.

Darauf verweist der Stuttgarter Fachanwalt für Erbrecht Michael Henn, Vizepräsident und geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutschen Anwalts-, Notar- und Steuerberatervereinigung für Erb- und Familienrecht e. V. (DANSEF) mit Sitz in Stuttgart, unter Hinweis auf das Urteil des Oberlandesgerichts (THOLG) Thüringen vom 23.03.2011, Az.: 2 U 567/10.

Im Herbst 2008 verließ eine demenzkranke (73 Jahre) alte Dame unbemerkt das Pflegeheim, in dem sie den dreiwöchigen Urlaub ihrer sie (sonst) betreuenden Tochter verbringen sollte. Die Suche – auch der Polizeikräfte – verlief zunächst erfolglos. Erst drei Tage nach ihrem Verschwinden wurde die alte Dame verletzt, unterkühlt und in einem schwer verwirrten, desorientierten Zustand auf einer Wiese liegend gefunden. Sie war gestürzt und hatte sich dabei die (rechte) Schulter gebrochen. In der Folge dieser Verletzung ist das Schultergelenk – trotz einer zwischenzeitlich eingesetzten Prothese – funktionell unbrauchbar; Schulter und Arm sind nur noch eingeschränkt beweglich. Im Juni 2010 hat das Landgericht Mühlhausen die Betreiberin der Pflegeeinrichtung zu einem Schmerzensgeld von 10.000 € und (zusätzlich) einer monatlichen Schmerzensgeldrente von 150 € an die alte Dame verurteilt. Hiergegen hat die Pflegeheimbetreiberin Berufung eingelegt; und zwar mit der Begründung, sie unterhalte eine offene (keine geschlossene) Einrichtung und habe eine lückenlose (hundertprozentige) Überwachung der alten Dame weder leisten können, noch müssen.

Dieser Argumentation ist der zweite Zivilsenat des THOLG nicht gefolgt und hat die Berufung im Wesentlichen zurückgewiesen. Lediglich die Schmerzensgeldrente ist (aus Rechtsgründen) „kassiert“ worden, weil sie neben der einmaligen Kapitalzahlung nicht in Betracht kam, so Henn.

Bei der Verurteilung zur Zahlung eines (einmaligen) Schmerzensgeldes ist es aber geblieben; der Senat hat den Betrag sogar auf 20.000 € verdoppelt. Zur Begründung heißt es im Urteil, die Pflegeheimbetreiberin habe ihre Betreuungspflichten aus dem Heimvertrag fahrlässig verletzt. Sie habe gewusst, dass die alte Dame demenzkrank sei und an ihrem Wohnort häufig allein zu ihrem Elternhaus gelaufen sei. In der für sie fremden Umgebung habe die konkrete Gefahr bestanden, dass die demenzkranke alte Dame sich verlaufen und dann verwirrt und orientierungslos umherirren werde. Nachdem sie das Heim bereits zweimal (am ersten und am zweiten Tag ihres Aufenthalts) unbemerkt verlassen habe, sei mit einem erneuten – und anders als bei den beiden ersten Malen auch erfolgreichen – Weglaufversuch zu rechnen gewesen. Um das zu verhindern und sicherzustellen, dass die alte Dame sich nicht selbst in Gefahr bringe, hätte sie lückenlos beaufsichtigt werden müssen. Wenn hierfür kein hinreichendes Personal verfügbar gewesen sei, hätte die Tochter aufgefordert werden müssen, ihre Mutter wieder abzuholen (und anderswo unterzubringen).

Das Urteil des THOLG ist noch nicht rechtskräftig. Der Senat hat zwar die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) nicht zugelassen; hiergegen kann die Pflegeheimbetreiberin jedoch die sog. „Nichtzulassungsbeschwerde“ einlegen.

Henn riet, das zu beachten und in Zweifelsfällen rechtlichen Rat einzuholen, wobei er u. a. auch auf die Anwälte/ – innen in der DANSEF Deutsche Anwalts-, Notar- und Steuerberatervereinigung für Erb- und Familienrecht e. V., – www.dansef.de – verwies.

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